Neue KI-Analyse zeigt globalen Rückgang des Phytoplanktons

Das marine Phytoplankton, das für fast die Hälfte der Nettoprimärproduktion der Biosphäre (Menge an Biomasse, die Pflanzen und andere Organismen durch Photosynthese speichern) verantwortlich ist, spielt eine entscheidende Rolle im marinen Kohlenstoffkreislauf und im Klimasystem der Erde. Jedoch kommt eine neue Studie in Science Advances zu einem beunruhigenden Schluss – die Biomasse des Phytoplanktons nimmt weltweit aufgrund des Klimawandels ab.

Methode
Bislang stützte sich die globale Überwachung des Phytoplanktons vor allem auf Satellitenmessungen. Doch diese Daten sind unvollständig, denn Wolken und Sonnenreflexionen an der Wasseroberfläche verhindern beispielsweise in weiten Teilen der Meeresgebiete verlässliche Messungen. Vor allen in den tropischen Regionen gibt es aufgrund der hohen Wolkenbedeckung erhebliche Lücken. Das Forschungsteam der neuen Studie entwickelte deshalb ein KI-Modell (KI-künstliche Intelligenz), das Deep-Learning-Modell „OCNET“ (Ocean Chlorophyll-a reconstruction Neural Ensemble Network, Details in Science Advances). Dieses Modell kombiniert verschiedene Datenquellen:

  • Satellitenbeobachtungen der marinen Chlorophyll-a-Konzentration (Proxy für die Biomasse des Phytoplanktons) der NASA (National Aeronautics and Space Administration) und der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration),
  • Messungen aus autonomen Argo-Bojen, die physikalische und biogeochemische Eigenschaften der Ozeane erfassen,
  • sowie Umweltparameter wie Meerestemperatur, Salinität, Durchmischungstiefe, Lichtverfügbarkeit und Nährstoffkonzentrationen.

Die KI wurde so trainiert, dass es fehlende Chlorophyll-a-Konzentrationen rekonstruieren konnte, indem es Muster zwischen bekannten physikalischen Bedingungen und beobachteten Konzentrationen erkannte. Als Ergebnis erhielten die Forschenden einen täglichen Datensatz für niedrige bis mittleren geographischen Breiten (45° N bis 45° S) über einen Zeitraum von 2001 bis 2023. Dabei ergab eine Regressionsanalyse eine beeindruckende positive Korrelation zwischen den vom neuronalen Netz geschätzten Chlorophyll-a-Konzentrationen und entsprechenden Satellitendaten (R² = 0,93; P < 0,0001). 

Ergebnisse
Die Studie in Science Advances lieferte folgende Ergebnisse (siehe Abb. 1):

  • Zwischen 2001 und 2023 sank die globale durchschnittliche Chlorophyll-a-Konzentration in den niedrigen bis mittleren Breiten um (−0,35 ± 0,10) × 10⁻³ mg m⁻³ pro Jahr.
  • Besonders stark betroffen waren die Küstengebiete mit einem mehr als doppelt so hohen Rückgang, d. h. mit (−0.73 ± 0,22) × 10⁻³ mg m⁻³ pro Jahr.
  • Die Häufigkeit extremer Algenblüten sank um (−1,78 ± 0,81) % pro Jahr.
Bild
(C): Zeitreihe der mittleren Chlorophyll-a-Konzentration für niedrige bis mittlere Breitengrade (45° N bis 45° S). (D): Analog (C) nur entsprechend für Küstenregionen. Die durchgezogenen Linien stellen Jahresdurchschnittswerte dar und die gestrichelten Linien lineare Trends. Die schattierten Bereiche kennzeichnen die 95 %-Konfidenzintervalle der Regressionsanalyse. (E): Zeitreihe der jährlichen Häufigkeit von küstennahen Algenblüten (durchgezogene Linien) und deren linearer Trend (gestrichelte Linie).

Abb. 1: (C): Zeitreihe der mittleren Chlorophyll-a-Konzentration für niedrige bis mittlere Breitengrade (45° N bis 45° S). (D): Analog (C) nur entsprechend für Küstenregionen. Die durchgezogenen Linien stellen Jahresdurchschnittswerte dar und die gestrichelten Linien lineare Trends. Die schattierten Bereiche kennzeichnen die 95 %-Konfidenzintervalle der Regressionsanalyse. (E): Zeitreihe der jährlichen Häufigkeit von küstennahen Algenblüten (durchgezogene Linien) und deren linearer Trend (gestrichelte Linie). Quelle: Science Advances, abgerufen am 29.10.2025.

Bezug zum Klimawandel
Die Analyse zeigte einen starken Zusammenhang zwischen der Wasseroberflächentemperatur und der globalen Chlorophyll-a-Konzentration (R² = −0,81; P < 0,01). Die durch den Klimawandel verursachten steigenden Wasseroberflächentemperaturen führen zu einer stärkeren Schichtung der oberen Wasserschichten. Das bedeutet, das sich wärmeres Oberflächenwasser weniger mit kälteren, nährstoffreichen Tiefenschichten mischen kann. Das verursacht ein Versiegen des Nährstoffnachschubs für das Phytoplankton. Folglich sinkt deren Biomasse.

Etwa 75 % der Küstenregionen zeigen ebenfalls eine negative Korrelation zwischen der Wasseroberflächentemperatur und der Häufigkeit von küstennahen Algenblüten. Jedoch wurde in rund 42 % der Regionen ein positiver Zusammenhang festgestellt. Das hängt wahrscheinlich mit den küstennahen Nähstoffeinträgen landwirtschaftlicher Aktivitäten zusammen.

Widerspruch zu früheren Befunden
Interessant ist, dass die aktuelle Studie früheren Studien widerspricht, die eine Zunahme der globalen Chlorophyll-a-Konzentrationen und häufigere Algenblüten nahelegten. Jedoch ergibt sich die Diskrepanz der Aussagen aus der unterschiedlichen Datenbasis:

  • Lückenhafte Satellitendaten: Frühere Analysen basierten oft nur auf Satellitendaten, wobei diese Daten bis zu 70 % fehlende Messwerte aufwiesen – insbesondere in bewölkten oder trüben Küstenregionen. Dagegen füllte OCNET diese Lücken mithilfe von KI.
  • Unterschiedliche geographische Abdeckung: Zuvor wurden Zuwächse vor allem in mittleren und hohen Breiten beobachtet, während tropische und subtropische Gebiete seltener analysiert wurden – gerade dort zeigten sich nun die stärksten Rückgänge.
  • Methodische Unterschiede: Die neue Studie nutzte eine höhere zeitliche Auflösung (tägliche Daten statt monatlicher Mittel), wodurch Trends präziser erfassbar wurden.
  • Menschliche Einflüsse: Regionale Nährstoffeinträge beispielsweise durch Landwirtschaft können lokale Anstiege vortäuschen, die wiederum globale Muster überdecken.

Somit bietet die neue Analyse ein wesentlich vollständigeres und konsistenteres Bild im Vergleich zu früheren Untersuchungen.

Fazit
Sollte sich der beobachtete Trend fortsetzen, könnten marine Nahrungsketten destabilisiert werden. Weniger Phytoplankton bedeutet weniger Nahrung für Zooplankton, Fische und andere Meeresbewohner. Auch die Rolle der Ozeane als „Lunge des Planeten“ könnte infolge der sich verringernden Kohlendioxidbindung geschwächt werden. Die Studie zeigt aber auch, dass technologische Fortschritte wie insbesondere die KI zu neuen Erkenntnissen führen können.